Schmerzensgeld aufgrund eines Diagnosefehlers bei einer durchgeführten Röntgenuntersuchung (OLG Hamm, Urteil vom 17.11.2015 – Az. 26 U 13/15)

Diagnosefehler ist nicht gleich Diagnosefehler. Vielmehr kommt es auf den Schweregrad des Fehlers an, um nicht nur die Beweislast zu bestimmen, sondern letztendlich auch die Höhe des zuzusprechenden Schmerzensgeldes.

Der Sachverhalt

Mitte April 2006 erlitt die Klägerin einen Verkehrsunfall, bei dem sie sich u.a. beidseitige Oberschenkelfrakturen zuzog. Die Frakturverletzungen wurden in der beklagten Klinik stabilisiert und behandelt. Im Nachgang erfolgte am 17.04.2006 eine Röntgendiagnostik des rechten Oberschenkelbereichs. Aufgrund fortbestehender Belastungsschmerzen wurde die Klägerin, die zwischenzeitlich in die Anschlussheilbehandlung entlassen worden war, erneut am 08.06.2006 röntgenologisch befundet. Dabei zeigte sich auf der rechten Seite eine laterale Oberschenkelhalsfraktur mit Dislokation (= Verschiebung bzw. Verdrehung von Knochen oder Knochenteilen). Diese Fraktur war bereits auf der Röntgenaufnahme vom 17.04.2006 zu erkennen. Aufgrund dessen musste sich die Klägerin in der Folgezeit mehreren notwendig gewordenen Nachoperationen unterziehen.

Die Klägerin hat geltend gemacht, dass die Oberschenkelhalsfraktur schon am 17.4.2006 hätte erkannt werden und durch eine unverzügliche Revisionsoperation hätte therapiert müssen. Wäre das geschehen, wären die starken Schmerzen und die weiteren Eingriffe sowie letztlich eine Implantation vermieden worden.

Die Entscheidung

Das Landgericht Bielefeld hatte die Klage zunächst abgewiesen. Jedenfalls stelle aber das Übersehen der für einen Unfallchirurgen und Orthopäden sicher zu erkennenden Oberschenkelfraktur auf der Röntgenaufnahme vom 17.6.2006 nur einen einfachen Diagnosefehler dar. Dabei sei auch zu berücksichtigen, dass die fragliche Aufnahme nur von vorne gefertigt worden sei und zu Kontrolle der Einbringung des Nagels und der Stellung der Fraktur gefertigt worden sei, nicht dagegen im Hinblick auf eine Oberschenkelhalsfraktur. Dahingehend zu befunden, habe zunächst keine Veranlassung bestanden.

Die darauffolgende Berufung beim OLG Hamm war teilweise erfolgreich, so dass der Klägerin ein Anspruch auf Zahlung von Schmerzensgeld i.H.v. 7.000,00 Euro – und nicht wie beantragt i.H.v. 35.000,00 Euro – zugesprochen wurde, denn den Behandlern der Beklagten ist anlässlich der Röntgenbefundung vom 17.04.2006 nur ein einfacher Diagnosefehler unterlaufen.

Wann liegt ein einfacher und grober Diagnosefehler vor?

Doch wie lässt sich ein einfacher Diagnosefehler von einem groben Diagnosefehler unterscheiden? Hierzu haben sich in der Rechtsprechung folgende Definitionen herausgebildet:

Ein einfacher Diagnosefehler liegt vor, wenn über einen bloßen Diagnoseirrtum hinaus die Diagnose für einen gewissenhaften Arzt bei ex-ante-Sicht medizinisch nicht vertretbar gewesen ist.

Ein grober Diagnosefehler liegt dagegen erst dann vor, wenn ein fundamentaler Verstoß analog einem groben Behandlungsfehler gegeben ist, wenn also eindeutig gegen bewährte ärztliche Diagnoseregeln oder gesicherte medizinische Erkenntnisse verstoßen wird und dieser Fehler aus objektiver ärztlicher Sicht nicht mehr verständlich erscheint, weil er einem Arzt schlechterdings nicht unterlaufen darf. Die richtige Diagnose muss für den Arzt auf der Hand gelegen haben.

Was bedeutet der Schweregrad eines Diagnosefehlers für das zu bemessene Schmerzensgeld?

Der Anspruch auf Schmerzensgeld soll dem Verletzten einen angemessenen Ausgleich für die erlittenen immateriellen Beeinträchtigungen und Genugtuung für das bieten, was ihm der Schädiger zugefügt hat. Dabei muss das Schmerzensgeld der Höhe nach unter umfassender Berücksichtigung aller maßgeblichen Umstände festgesetzt werden und in einem angemessenen Verhältnis zu Art und Dauer der Verletzungen stehen.

Unter den maßgeblichen Umständen ist auch der Schweregrad des vorgelegenen Diagnosefehlers zu berücksichtigen. Dies bedeutet: Hätte ein grober Diagnosefehler vorgelegen, so wäre ein Schmerzensgeldbetrag über 7.000,00 Euro für die Klägerin möglich gewesen.

OLG Hamm, Urteil vom 17.11.2015 – Az. 26 U 13/15
vorgehend LG Bielefeld, Urteil vom 18.11.2014 – Az. 4 O 232/12


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